offramme
hieramme
häaramme
roabramme
rofframme
räasramme
nieramme
oabramme
nieramme
   
 

















Die Sprachen der ganzen Welt: Buchmesse Frankfurt

Hessisch als sprachliches und kulturelles Merkmal aller Hessen gibt es nicht. Die Geschichte Hessens spiegelt hierzu keine homogene, kulturelle Einheit. Zahlreiche Kleinterritorien, freie Reichsstädte, baroneske Herrschaftssprengsel niederen Landadels, Grafschaften, Fürsten und Herzogtümer bestimmten über Jahrhunderte Hessens Regional- und Kulturgeschichte. Der heute irrtümlich als "Hessisch" medial vermarktete Dialekt entspricht dem Sprachgebrauch der Metropolregion Rhein-Main, eine moderne Ausgleichsprache, die unter Dialektologen heute als "Neuhessisch" beschrieben wird.

Die derzeitigen Sprach- und Kulturräume in Hessen verteilen sich auf etwa vier Kernregionen mit angrenzenden Mischdialekten. Im Norden wird Niederdeutsch, Plattdeutsch und Ostfälisch gesprochen, im Nordosten und in der Rhön Thüringisch sowie Osthessisch, südlich davon Mainfränkisch. In Mittelhessen, Zentralhessen, bestimmen oberhessische Zungenschläge das Geschwätz der Leute, im Süden beherrschen das rheinhessisch-fränkische Gebabbel die Mäuler. Hinzu kommt das Französisch der Waldenser und Hugenotten, die Ende des 17. Jahrhunderts als politische Glaubensflüchtlinge aus Frankreich vertrieben wurden und in Hessen neue Siedlungen und Städte gründeten. Damit nicht genug. Zahlreiche Lehnwörter aus dem Jiddischen bereichern die Dialekte und Sondersprachen - als Soziolekte wie das Manische im Raum Gießen und Marburg - gehörten ebenfalls zum sprachlichen Alltag.

Das heutige Bundesland Hessen wurde von General Eisenhower per Dekret am 19. September 1945 als politische Einheit ungeachtet der regionalen und historischen Besonderheiten geschaffen. Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges und nach der Schreckensherrschaft und den Verbrechen der Nazis mussten allein in Hessen neben den Evakuierten aus den zerbombten Städten nahezu eine Million Menschen aus den ehemaligen Ostgebieten des in Trümmern untergegangenen Deutschen Reichs aufgenommen und integriert werden, insbesondere in Hessen aus den ost-, mittel- und südeuropäischen Ländern aus Ungarn, der Tschechoslowakei und des Sudetenlandes. 

Wenn auch die gemeinsame Standardsprache diese Integrationsleistungen beförderte, so blieben doch die jeweiligen Dialekte, die Lebensgewohnheiten und Bräuche der Heimatvertrieben in der ersten und zweiten Generation neben den alteingesessenen Varietäten als Identifikationsmerkmale auf dem Lande bestehen. Sie bildeten in den Anfangsjahren der Bundesrepublik eigens errichtete Siedlungen und Parallelgesellschaften gegenüber den Alteingesessenen aus, nicht selten mit spannungsgeladenen Vorurteilen und Schmähungen.

Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung der Bundesrepublik kamen Gastarbeiter mit ihren Sprachen, Lebensgewohnheiten und Dialekten nach Hessen. Deren Sprachkurs begann am Arbeitsplatz, beim Kollegen am Fließband, auf der Baustelle oder bei der Müllabfuhr. „Wasguggsdu?“, lautete die Antwort auf das Anderssein. Hochdeutsch wurde dort nicht gesprochen. Sie waren maßgebend an den Aufbauleistungen in Hessen beteiligt, insbesondere in den Metropolregionen, zu guter Letzt in Frankfurt, das sich aufgrund seiner zentralen Verkehrslage zu einem europäischen Wirtschaftsstandort und zur heutigen internationalen und multikulturellen Bankenmetropole entwickelthat.

Entsprechend war es 1989 politisch konsequent und bundesweit ein Novum, ein Amt für multikulturelle Angelegenheiten in Frankfurt zu schaffen. Jahre später hieß der Hessische Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landentwicklung Tarek Al-Wazir, ein gebürtiger Offenbacher, zugleich Stellvertreter des Hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier, alteingesessener Gießener mit französischem Namen, dessen sprachliche Verwandtschaft für ein offenes Hessisch spricht, von dem der ehemalige Hessische Ministerpräsident, Georg August Zinn, sagte, "Hesse ist, wer ein Hesse sein will" - und begründete die jährlichen Hessentage.


Vom Schreiben auf wackeligen Stühlen

Zum Autor: Geboren im späten Sommer 1950 in Gönnern im Gladenbacher Bergland, dem Hessisches Hinterland *, als dritter Sohn der Putzfrau, Fabrikarbeiterin und Kantinenköchin Irmgard Kernekampf und des Eisenbahnhandwerkers Karl Sänger. Nebenerwerbliche und selbstversorgende Land- und Waldwirtschaft bestimmen Kindheit und Jugend. Nach der dörflichen Volksschule Ausbildung zum Postschaffner in Dillenburg und Versetzung nach Frankfurt am Main. Aufgabe des Postberufes und externe Weiterbildung zur Fachhochschulreife. Angestellter in der Personal- und Sozialverwaltung eines Trägers der freien Wohlfahrtspflege in Frankfurt am Main. Nach Wohnortswechsel in die Wetterau Aufgabe der sozialberuflichen Tätigkeit, Hausmann, freier Autor und Mitarbeiter in Tageszeitungen, Bildreportagen, lokalpolitische Artikel und Tagesglossen sowie Rezensionen, u.a. Frankfurter Neue Presse, ZLP-Zeitungsring Rhein-Main und Wetterauer Zeitung. Veröffentlicht seit den 1980er Jahren oberhessische Satiren, Gedichte, Fabeln und Kurzgeschichten sowie Beteiligungen an Übersetzungen in Anthologien, Ton- und TV-Werken.

*) Die regionale Bezeichnung Hinterland führt in die Territorialgeschich­te des Großherzog­tums Hessen-Darmstadt. Der hinter dem Darm­städter Land im nordwestlichen Mittelhessen gelegene Landstrich mit Zentren Battenberg, Biedenkopf und Gladen­bach erhielt aus Darm­städter Sicht die­sen inoffizi­ellen Beinamen zum ehemaligen Landkreis Biedenkopf, heute Landkreis Marburg - Biedenkopf. Der für Fremde oft spöttische Begriff wird jedoch von den Hinterländern mit lokalpatrio­tischem Stolz besetzt.

Einst war das Hinterland arm an guten Nachrichten und reich an armen Leuten, frömmelnden Kirchgängern und stillen Säufern. In seinen Wäldern, mageren Wiesen und steinernen Äckern vom Rothaargebirge zum Oberlauf der Lahn herab, kreuzten stattliche Hirschwechsel und schlanke Rehen die Wege mit krächzenden Raben und Wegelageren. Wilddieberei war unter Nachbarschaften kein Thema wie die Fremdgeherei auch nicht, sofern man früh gelernt hatte, mit dem Amen der Kirche und dem geduckten Niederwild vor Gott, dem Wirtshaus und der Obrigkeit das Maul zu halten. Die einzige Fahne, die dort der Heimat als Leitkultur voraus wehte und auch heute noch durch die Köpfe flattert, das war und ist die Fahne nach fünf Pils und reichlichem Doppelwacholder, so sie allenthalben high sind und zur späten Stunde ihres irdischen Daseins ermatten: HighMatt. Aber sie fanden und finden immer noch einen Grund sich einzureden, dass es über den Tag hin eines Schnapses bedürfe, um der Plackerei gerüstet zu sein, wobei nicht ausgemacht worden ist, in welcherlei Oben und Unten der nächste Tag beginnt. Wer dort seine Heimat sucht, der irrlichtert durch ein schwieriges Terrain, dessen Dornengestrüpp zwischen Minze und Nesseln sein Auskommen sucht, wenn er nicht der Kreuzwege kundig ist, ohne Plessuren heimzukommen.  

wan´s raant
gie ma heem
wan´s nit raant
blaiwe ma häi 
raant´s nit un 
ma hu ke lost
gie ma aach heem
raant´s breache ma
suwisuu nit ze blaiwe
gie ma da heem 
un wese nit woas 
ma da mache sin
kinte ma jo aach
häiblaiwe - feräasgesast 
es raant nit

Der Hinterländer Dialekt spiegelt einen Dialekt des Mittelhessischen, wie er in Angelburg und Umgebung gesprochen wird. Es handelt sich um eine sprachliche Besonderheit einer altertümlichen Mundart, deren Strukturen aus dem Althochdeutschen ableitbar sind und deren aktuelles Lautsystem stark mit dem Mittelhochdeutschen korrespondiert. Demnach wird das stimmlose „s“ wird zu „sch“ verschliffen, das „r“ als retroflexes Zungen-„r“ ( mit der Zunge an den Gaumen gedrücktes gerolltes „r“ ) gesprochen. Zu den weiteren Besonderheiten gehört der Wandel der stimmlosen Laute „k“, „p“ und „t“ zu stimmhaften „g“, „b“ und „d“, sowie das Verschleifen des „er“ zu „a“ vor allem in der Endsilbe (Wetterau – Wearrera). Besonders auffällig sind die sogenannten gestürzten Diphtonge. Die mittelhochdeutschen fallenden Zwielaute „ie“, „üe“, und „uo“ erscheinen als steigende Zwielaute „äi“, „oi“ und „ou“. Alle Diphtonge werden eindeutig betont, so dass es nicht zu einer Verwechselung beispielsweise von „ai“ und „äi“ kommt. Der Laut zwischen „a“ und „o“ wird durch „oa“ realisiert. Der Buchstabe „v“ wird zum „w“ oder „f“ je nach dem Lautstand des Wortes (Vogel – Fuchel, Blumenvase – Bleamewase) und „äu“ und „eu“ wird zu „oi“ (Kräuter – Kroira, Leute – Loire), „ch“ wird zu „k“ oder zu „x“. Alle Vokale werden kurz gesprochen, wenn sie nicht durch Verdoppelung als lang geschrieben sind. Die Verdoppelung der Konsonanten entfällt. Bei Eigennamen bleiben in der Regel die Standardformen der Schreibweisen bestehen. Vergleiche hierzu auch die Ausführungen zur Schraibwaise im Band "schwortswaise raabooche".

Ein Regelwerk analog des Dudens zur Verschriftlichung von Dialekttexten gibt es nicht. Die literarische Kunstfertigkeit des Schreibens besteht darin, der Lautgestalt möglichst nahe zu kommen. Sollten sie Mühe haben, diesen alten hessischen Dialekt zu erschließen, so üben sie sich in dem gedanklichen Behelf, als führten sie beim lauten Sprechen eine Kanne Murmelsteine im Maule mit sich. Für Dialektautoren gibt es verschiedene Möglichkeiten, ihrer Mundart gerecht zu werden. Entweder benutzen sie die Standardsprache analog des Dudens als Schreibsystem und verändern ihre Schreibweisen nur dort, wo die Lautgestalt im Dialekt abweicht, um gegenüber dem Fremden lesbar zu bleiben, oder sie erarbeiten sich eine eigene Verschriftlichung, die dem aktuellen Dialekt im Sinne einer "MundArt" gerecht wird, auch, um die Verfremdung gegenüber der Standardsprache darzustellen.


Foom Frease, Faroore un Imbrenge

Und so erzählt man sich die Geschichte vom Fressen, Verraten und Umbringen nach dem Motiv von Reynke de Vos aus dem 15. Jahrhundert. Mit Goethes Versepos wird sie literarisch etabliert und zum Bestseller. Aber hier sind es die Tauben, in vielen Kulturen als Symbol des Friedens und christli­ches Symbol des Heiligen Geistes, die durch Intrigen und Verrat ein mörderisches Blutbad unter dem Federvieh herbeiführen, das sonst nur dem Fuchs zugeschrieben wird. Hier nun erwischt es den Fuchs in der Hinterländer Fassung endgültig und für alle Tage selbst. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen oder politischen Verhältnissen im Umfeld des Autors sind nicht ausgeschlossen, wenn auch nach reinstem Gewissen in Ehrfurcht vor Gott und dem Hahn des Hessischen Justizministers nicht beabsichtigt.

Es woa emool ean Foks, dea wolt e Huingel frease. Äawa doas Huingel wolt nit gefrease wean. Do säät doas Huingel wera den Foks, he silt´n aal Gikel frease. Dea wea suwisu baal droo un raif fean Kochgrope. Do moschd sisch dea Foks noo´m Gikel. Wäi dea Foks baim Gikel woa un den frease wolt, froot dea Gikel den Foks, worim deere da nit däi Gense gefrease? He wea´s Leewe lang nua hinan Hoinga häagelaa­fe un dobai su dor woan, wäi niremool e Gebinsche Schdruu gesai kint. O eam wea näad ze frease, nua Fearan un Gno­che. Do moschd sisch dea Foks bai de Gense. Däi sääre äawa, he silt doch nochemool of Kreastdoag werakome, da wean se da aach odlisch fäte un goa noch ze broore. He silt sisch doch däi Däwe foo´m Dach lange, wan he groat suu´n uuflerischde Hunga hät. Däi Däwe wean zöu näat göut, nua zöum Frease. Do schdäig dea Foks noo´n Däwe nof. Däi Däwe äawa flooche fut un räife´m äas de Loft, he silt sisch doch doas Huingl lange. Do sucht dea Foks wera doas Huingel. Doas Huingel woa äawa näad mie do. Doas hat de Gikel alwail duutgepekt, wail doas Huingel deam Gikel de Foks geschischd hat. Ai wäi kunt dea Gikel doas da wese? - froot dea Foks. Doas woan däi Däwe. Däi Däwe hare´s deam Gikel heanerim faroore. Do sucht dea Foks wera den Gikel. Dea Gikel woa äawa näad mie do. Den hare de Gense alwail ie´n Wasagroawe geschdumbt un äasofe, wail dea Gikel den Gense de Foks geschischd hat. Ai wäi kunte däi Gense doas da wese? - froot dea Foks. Doas woan däi Däwe. Däi Däwe hare´s den Gense heanerim faroore. Do sucht dea Foks wera de Gense. Däi Gense woan äawa näad mie do. Däi hare de Däwe alwail foo uuwe met Schdeecha zöugeschmease un är­schloo, wail de Gense den Däwe de Foks geschischd hare. Do sucht dea Foks wera de Däwe. Däi Däwe woan äawa näad mie do. Däi Däwe woan schu weramool futgeflooche. Doas ärjerte den Foks, wail su 'e Imbrengerai woa jo keam foo´m Nodse. Un do kreeschd dea Foks ean gruuse Rapel, bäis sisch in äjene Äarsch un fras sisch fo heane häa sealbsd of. Bes näad mie foo´m do woa. Nua sai Mäal, doas bläib foo´m laije. Es kunt sisch jo aach schlaaschd noch sealbsd gefrease. Un däi Däwe? Of däi luurte schu de Habischd! Äawa doas eas da weramool e aanare Geschischde.


Der Fuchs und die Henne

Einmal, als es keine Mäuse mehr gab, besann Meister Reineke sich wieder auf das Federvieh. Er schlich in einen Hühnerhof und stürzte sich auf eine alte, magere Henne. „Asch wil dasch frease!" raunzte er der Unglücklichen zu. Dann packte er sie mit seinen grausigen Zähnen. Aber die Henne fürchtete weder den Fuchs noch den Tod. Sie zappelte sich aus seinem Maule heraus, ordnete ihr Gefieder und sagte: „Ai, doas eas ma doch de Eahre fiel ze fiel! Asch sai nua e aales, moachares Huingl, groad noch fea e dine Sope göut, un Aaja lääje, doas ka asch aach nit mie. Gie ma da fut un freas ma doch den aale Gikl do, wann´s da raascht eas, dea eas suwisuu baal dro un raif fean Kochgrope!“ Und die Henne trippelte gackernd davon.

Der Fuchs und der Gockel

„Ean Gikel frease? Doas deet ma da groat gefan!" grummelte Reineke in sich hinein und bedankte sich bei der alten Henne für deren gute Empfehlung. Frohen Mutes schnürte er seines Wegs dorthin, wo er sich des Gockels zu bemächtigen trachtete. An seinem Blute wollte er sich köstlich laben. „Häi, Gikel, kom doch emool bai misch!" suchte er den Gockel mit freundlicher List zu locken. „Worim?" krähte der Gockel missmutig zurück. „Asch wil däi Blöut säfe!" verriet Reineke sein Verlangen. „Wäi, döu weat mai Blöut säfe!?" fuhr der Gockel für den Moment eines flüchtigen Lidschlages auf. Dann, mit einem prasselnden Flügelgeflatter, ließ er Reineke auf der Stelle - eins, zwei, drei - um dessen Ohren wissen, wie es um die Angelegenheiten des Blutsaufens im Geviert des Hühnerhofes bestellt war.

Der Triumpf des Gockels

Mit einem Male schaute Reineke drein wie der Bauer, dem der Blitz aus heiterem Himmel just mit grollendem Donner in die Sense geschlagen hatte. Seine Pracht und Herrlichkeit waren auf dem Misthau­fen darnieder geworfen. Aber kaum, dass er sich aus dieser Pein aufgerappelt und neu besonnen hatte, sperrte er wieder sein gieriges Maul auf und ließ seine grausigen Zähne auf­blitzen, dass allein der Schrecken davor jedermann den Tod hätte bringen können. So doch nicht dem Gockel. Wie die Henne fürchtete er weder den Fuchs noch den Tod, wohl aber den Unfrieden, den Reineke über den Hof gebracht hatte, und so wollte er sich den gebührenden Re­spekt verschaffen, wie es einem Gockel zur Würde geziert. Flugs flatterte er auf seinen Misthaufen hinauf und scharrte hinterrücks allen Mist und Dreck hervor, gerade­wegs in Reinekes aufgesperrten Rachen hinein. „Do heste edst dai Blöutsäfe! Lang da doch däi Gense, wann de groat suu´n uuflerischde Hunga und Doschd hest!" spottete der Gockel von hoher Warte herab. Und mit strammen, majestätischen Paradeschritten, wie es kleine Offiziere gerne tun, wenn sie einen Sieg ihr eigen glauben dürfen, stolzierte er nach vollendeter Schlacht davon.

Der Fuchs und die Gense

„Gense? Doas silt ma doch ean odlische Schbas ge­mache!" lachte Reineke in sich hinein und bedankte sich bei dem Gockel für dessen gute Empfehlung. Er aber rotzte und kotzte und schüttelte den Dreck aus seinem Maul heraus, dass es weithin nur so schnaufte und so schniefte. Dann machte er sich mit leisen Pfoten auf den Weg, die Gänse mit seiner Aufwartung beglücken zu wollen. Aber diese wurden seines heimlichen Kommens gewahr: „Gukt emool, de Reineke kimt un will ois duudmache!" rief lachend eine Gans. Und alle watschelten herbei. „Wäi schie he doch im Päls gewäse eas!" spöttelte eine andere. Denn nach der Attacke des Gockels war es um ihn als eine Zierde seines Geschlechtes und hohem Stande nicht zum Besten bestellt. Derlei Hänselei und Spott freilich nicht genug. Eine blutjunge Gans bot ihm sogar noch ihre Liebe an: „Asch kint groad Aaja merem gelääje!" seufzte sie, und die Gänse stimmten gar noch ein spöttisches Liedchen in der Art der vornehmen Leute an: 

                          "Gans du hast den Fuchs erwischt, 
                                  lass ihn nie mehr aus, 
                           steck ihn in den Schweinekoben,
                                  mach ihm den Garaus."


Nun, aus mehrerlei Erwägungen heraus mochte Reine­ke diese Schmähungen und Spott nicht auf sich ruhen lassen. Wurde dem Schlaukopf doch ob seiner Kühnheit und Ver­standeskraft seit altem Gedenken stets Achtung und Ehr­furcht dargebracht. „Asch will each Mores lean, woar´es hääst, ean aale Foks ze uuze!" Ich will euch Anstand (Mores) lehren, was es heißt, einen alten Fuchs zu veralbern (uzen)! zürnte Reineke. Abermals zeigte er seine grausigen Zähne. Doch die Gänse wie die Henne so der Gockel fürchteten Reineke und den Tod auch nicht. Sie purzelten und trampelten über ihn hinweg, zupften und zausten seinen Pelz, dass es ihn nur so zwickte und so zwackte. Nur mit einem kühnen Sprung auf eine wackelige Boh­nenstange gelang es ihm, sein Schicksal zu wenden und sich aus ärgster Bedrängnis vor den garstigen Schnabelhieben der Gänse zu retten. „Lang da doch de Däwe foom Dach, wann de da grot suu´n uufleerischde Hunga hest!" schnatterten die Gänse hinterdrein, und alle watschelten in ihren Weiher, und sie ließen sich's dort wohlergehn.

Der Fuchs und die Tauben

„Däwe!?" Geringerer aber auch nicht minder leckerer konnte einem Feinschmecker wie dem Fuchs das große Fressen wahrlich nicht mehr ausfallen! So unterließ er auch weitere Dankesbezeugungen ge­genüber dem Schnattervieh, zumal er augenblicklich wahr­rich andere Widrigkeiten zu bewältigen hatte. Gleich einer Vogelscheuche im Wind wankte Reineke nunmehr auf der Bohnenstange hin und her und schnappte nach einer leckeren Taubenmahlzeit. Doch nichts als laue Luft bekam er zu reißen und zu beißen. Bald peinigten ihn arge Blähungen und ein Bauchgrim­men stellte sich ein, dass er von sich glauben mochte, er sei auf der Stelle dem Tode versprochen.

Doch wie zuvor die Henne, der Gockel so auch Gänse fürchteten die Tauben weder Reineke noch den Tod. Auch sie hatten einen tollen Spaß mit ihm. Keck und frech schwirrten sie um seinen Kopf herum und sausten an seinem gierig schnappenden Maul vorbei, dass ihm noch elender wurde. „Woas sisch´s de da do uuwe of dea Buuneschdang erim, wu de doch häi une of de Ea de Hoinga un de Gense gefreasse kaast?" Was suchst du denn dort oben auf der Bohnenstange her­um, wo du doch hier unten auf der Erde die Hühner und Gänse fressen kannst? lachten die Tauben Reineke aus, der sich nunmehr in seiner Peinlichkeit und Lächerlichkeit vollends gewahr wurde und den Tauben zürnte: „Asch wil each de Hälse rimdriä!" Ich will euch die Hälse um­drehen! brüllte er gen Himmel, ganz entgegen seiner sonst so geachteten vornehmen Art und Gestalt. „Do misst´e uschdemool doas Fläie lean, su wäi de Ha­bischd, gukemool!" Da musst du erst einmal des Fliegen lernen, so wie der Habicht, guck einmal! gurrten die Tauben zurück und entschwan­den mit einem eleganten Bogen hoch oben im weiten, blauen Himmel. 

Selbst mit Gottes Hilfe und unter Anrufung der vier­zehn Notheiligen war der Schande nicht mehr beizukom­men. Zwar hatte ihn der Allmächtige mit allerlei Künsten ausgestattet, deretwegen er reichlich gerühmt wurde, aber als er die Kunst des Fliegens ersonnen hatte, musste er doch an­deren Sinnes gewesen sein als es Reineke jetzt im Stillen wünschte. Flink machte er seinem mit reichlichem Kummer erfüll­ten Aufenthalt in luftiger Höhe ein Ende und sauste beherzt zu Boden. Dann trottete er - mit grimmiger und garstiger Wut un­term Pelz - zurück in den Hühnerhof.

Die totgepickte Henne

Dort erhoffte er sich endlich sein Fressen, wenn auch dürr und mager in Gestalt der alten Henne, wie er sie schon einmal im Maule gehabt hatte. Auf diese gierte nunmehr sein ganzes Sinnen und gei­ferndes Trachten. Aber er fand die Henne nicht mehr lebendigen Leibes im Hühnerhof vor. Die totgepickte Henne Von Blut übergossen und mit zerzausten Federn lag die Henne unter einem Beerenstrauch meuchlings ermordet. Reineke wusste sich darauf keinen Reim zu machen. Da flog eine Taube herbei, ließ sich auf einem Zweig des Beerenstrauches nieder, und erzählte dem Fuchs, was ge­schehen war: „Doas woa dea Gigl!" Das war der Gockel! gurrte die Taube, „dea het doas Huingl duudgepekt, wail doas Huingl deam Gigl de Foks geschischd hat." der hat das Huhn totgepickt, weil das Huhn dem Gockel den Fuchs geschickt hat. „Wäi kunt dea Gigl doas da wesse?" Wie konnte der Gockel dies denn wissen? fragte Reineke die Taube. „Mia huu´s deam Gigl heane rim faroore!" Wir haben es dem Gockel hinten herum verraten! antwortete die Taube und ent­schwand hoch oben im weiten, blauen Sommerhimmel.

Der ertränkte Hahn

Der ertränkte Hahn „Woas lait ma droo!?" Was liegt mir daran!? knurrte er in sich hinein, besann er sich doch wieder des Gockels. Dessen Grobheiten trachtete er nun mit gleicher Münze heimzuzahlen. Schnurstracks folgte er seiner alten Fährte zur Mistkau­te hin, wo er den Gockel noch saftigen Leibes wähnte. Doch wie die Henne so weilte auch der Gockel nicht mehr unter den Lebendigen. Mit durchnässtem Gefieder lag der stolze Chef des Hühnerhofes wenige Schritte seines Misthaufens entfernt am Rande des Weihers ertränkt. Abermals wusste Reineke sich darauf keinen Reim zu machen. Da flog eine zweite Taube herbei, setzte sich auf einen Stein und erzählte Reineke, was geschehen war: „Doas woan däi Gense!" Das waren die Gänse! gurrte die Taube, „däi huu´n Gigl ie´s Wasa geschdumbt und äasofe, wail dea Gigl den Gense de Foks geschischd hat." die haben den Gockel ins Wasser gestoßen und ersoffen, weil der Gockel den Gänsen den Fuchs geschickt hat. „Wäi kunte däi Gense doas da wese?" Wie konnten die Gänse dies denn wissen? fragte Reineke die Taube. „Mia huu´s den Gense heanerim faroore" Wir haben es den Gänsen hinten herum verraten antwortete die Taube, und entschwand hoch oben im weiten, blauen Sommerhimmel.

Die gesteinigten Gänse

So blieben ihm nur noch die Gänse. An ihnen wollte er sich jetzt seinen Rachen vollschla­gen, jedoch mit List zu Werke gehen. Im Gewand als Bräutigam wollte er es mit der liebestol­len Gans noch einmal wagen, so seine messerscharfe Idee, und hierbei gleich in aller Seelenruhe die ganze Sippschaft zum Hochzeitsmahl bitten. Doch diese List sollte ihm nicht mehr zu Nutze sein. Auch die Seelen der Gänse waren längst gen Gottes Him­mel gefahren. Ihre kalten Leiber lagen mit geborstenen Köpfchen und zerbrochenen Flügelchen in einem Massen­grab unter Tausenden von Kieselsteinen begraben. Einmal mehr wusste Reineke sich keinen Reim darauf zu machen. Da flogen alle Tauben herbei, setzten sich der Reihe nach auf die Bohnenstange und erzählten Reineke, was ge­schehen war: „Doas woan mia!" Das waren wir! gurrten die Tauben ver­gnügt im Chor, „mia hu däi Gense äas de Loft met Schdee­scha duutgeschloo, wail däi Gense ois Däwwe de Foks ge­schischd hare." Wir haben die Gänse aus der Luft mit Steinchen totgeschla­gen, weil die Gänse uns Tauben den Fuchs geschickt hatten.

Der Freitod des Fuchses

Und so überkam Reineke eine große Ratlosigkeit: „Ai, här asch ma doas Huingl doch glaisch gefrease!?" Ei, hätte ich mir das Huhn doch gleich gefressen!? jammerte er in tiefer Not und finsterer Betrübnis. Mit eingezogener Rute und hechelnder Zunge streunte er verwirrt und mit einem großen Schrecken im Herzen über den Hühnerhof. Derlei Leichen wollte er so doch nicht auf seine Kappe nehmen wie er auch die Flinte des groben Bauern auf das Schlimmste befürchtete. Daraufhin nahm er all seinen Mut zusammen, sich sei­nes Elendes vor Gott und dem Hahn des Hessischen Justiz­ministers einzugestehen, und fraß sich sodann, wie eine um ihren Verstand ringende Schlange, vom Schwanz her selber auf, bis nichts mehr von ihm war, nur sein großes Maul blieb von ihm übrig. Es konnte sich ja schlecht noch selber fres­sen. So war es auch um Reineke geschehen. Bis auf die Tauben. Diese hatten sich unterdessen auf sanften Flügeln vom Ort des blutigen Geschehens erhoben und sich im blauen Sommerhimmel, hoch oben, noch eines heiteren Tages ver­gnügt. Danach der Habicht ihrer gewahr wurde. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.


Reisebericht eines Anonymus, Hessischer Volksfreund, Darmstadt 1844.


    Steffenberg mit Weiler Obereisenhausen im Hinterland.   
    Foto: Copyright by Kurt Werner Sänger, Juni 2011.

Wer in dieser Gegend von den Städten Gladenbach, Biedenkopf oder Battenberg aus einen Seitenausflug zu machen gedenkt, darf auf leibliche Genüsse nicht rechnen; denn einerseits; sind die Wirte mit Eß- und Trinkwaren äußerst; schlecht versehen, andererseits herrscht auch in Stuben und Gefäßen eine solche Unsauberkeit, daß wer die Reinlichkeit in anderen Gegenden gewohnt ist, es nicht über sich gewinnen kann, irgend Etwas ohne Ekel zu genießen. Da wird kein Lagerbier, noch weniger Bockbier, verabreicht, kein perlender Wein wird ausgeschenkt, und auch kein kühlender Cyder prizzelt im Glase! Hier harren Eurer weder jene niedlichen Schinkenschnittchen, die so fein sind, daß man sie zu Brillengläsern gebrauchen könnte, noch kredenzt euch eine artige Kellnerin mit zierlichem Schürzchen, flinken Füßchen und koketten Mienen würziges Getränk; hier rennt kein Kellner mit ellenlangen Schritten durch den Saal, und kein künstlich angelegtes Buschwerk kann euch in seinem Schatten bergen. Nur Natur - manchmal auch etwas weniger – ist hier zu treffen.

Ich will Dich einmal, lieber Leser, ein paar Stunden in diese Gegend hineinführen. Gehst Du z.B. in Biedenkopf den Bachgrund hinunter über die Lahn und lenkst deine Schritte über wal-dige Hügel, so kommst Du von Tal zu Tal und endlich in ein Dorf, etwa nach Niedereisenhau-sen oder Silberg. Die Häuser sehen nicht einladend aus. Strohdächer und graue Wände schauen Dir traurig entgegen. »Nun, etwas zu essen und zu trinken wirst Du doch bekommen!« - denkst Du, rasch vorwärtsschreitend. Hungrig und durstig trittst Du in die Wirtsstube, aber auf einige Minuten vergeht Dir aller Appetit. Dein erstes Geschäft wird darin bestehen, daß du das Fenster öffnest, um nicht zu ersticken. Mit Verwunderung fallen deine Blicke auf Fußboden, Bänke und Tische, und Du würdest Dich gern setzen, wenn Dich der Schmutz nicht abhielte.

Herumtrappelnde Hühner haben alles verunreinigt. An einem Tisch sitzen einige starke Män-ner, die, den Pfeifenstummel im Munde, aus ziemlich großen Gläsern ein weißes Getränk, das stark ins Schmutziggelbe spielt, mit behaglichen Mienen hinunterschlürfen. Du wirst erraten, daß sie Schnaps trinken. »Bringt mir einen Schoppen Wein« - sagst du zur Wirtin, die in dieser wenig einladenden Umgebung dennoch freundlich ist, freundlicher, als die Kellnerin im St... zu Frankfurt, die fast immer darein schaut wie sechs Tage Regenwetter, oder wie die Katze wenns donnert. »Wäi honn merr naut« - erhältst Du zur Antwort. »Bejer (Bier) ower känn'r kreje.«
Du erhältst einen Schoppen Bier von einer Sorte, die demselben Rang unterm Gerstensaft ein-nimmt, welchen der Grünberger unterm Wein behauptet. Das Glas, in welchem Dir das bräun-liche Zeug durchgereicht wird, ist undurchsichtig vor lauter unwesentlichen Anklebseln. Von den Speisen will ich schweigen, es möchte sonst Mancher die Schilderung für Übertreibung halten. Wer jedoch daran zweifelt, kann sich leicht selbst überzeugen, wenn er gut zu Fuße ist, denn aufs Fahren darf er nicht reflektieren.

Nun zu den Leiden, die ich vor einigen Jahren bei Gelegenheit eines Besuches, den ich in Gönnern einem Bekannten, der aus der Gegend von Offenbach gebürtig ist abstattete. »Ich rate Ihnen, Herr Candidat!« - sagte mein Haus- und Kostwirth - ein schlichter, ehrlichen Bieden-kopfer zu mir - »ich rate Ihnen, nehmen Sie sich etwas zum Beißen mit, es könnte Sie sonst gereuen; Sie können sich nicht vorstellen, wie man im »Grund« lebt. Ich achtete nicht darauf, begab mich auf den Weg und langte um vier Uhr des Nachmittags in Gönnern, einem armselig aussehenden Orte, an. Die Wohnung meines Bekannten ward mir gezeigt. Zur Haustüre ein-tretend, kam mir derselbe in einem entstellenden Anzuge entgegen, und sowohl ich, als er, trat im ersten Moment erschrocken zurück. Mein Bekannter, den ich S. nenne, führte mich nun in das Haus, worin er den Tisch hatte. Eine schöne, vollblühende Hinterländerin empfing uns; es war die Kostwirtin. Herzlicher, ich muß es wohl gestehen, kann man kaum aufgenommen werden. Sie trug nach ihrer Weise ein sehr gutes Abendessen auf, das in Milchsuppe und Käse nebst Brot bestand. Ich vermochte jedoch, obgleich S. wacker Zugriff nichts zu genießen. Die Suppenschüssel war aus Holz gefertigt, und aus demselben Stoffe Teller und Löffel, deren zweideutige Farbe nicht appetiterweckend war. Ich schützte Unwohlsein vor und aß nichts.

Um neun Uhr des Abends ging ich mit S. in sein Logis zurück und eine Stunde später begaben wir uns zu Bette. Ich ahnte nichts Arges; aber bald sollte ich furchtbar enttäuscht werden. Ein plötzlicher Stich in die Seite belehrte mich, dass eines jener Insekten, welche sich in unrein-lichen Wohnungen so häufig vorfinden, mich aufgesucht habe. Kaum hatte ich diesen aufdring-lichen Gast in die Flucht getrieben, als ich an verschiedenen Teilen meines Körpers die Tätig-keit dieser bräunlichen Husaren verspürte, deren Angriffe endlich so heftig wurden, daß ich aufstehen und mich auf einen Stuhl setzen mußte. Doch dieses Manöver brachte mir keine Ret-tung. Wütend verfolgten mich diese kleinen Tiger und quälten mich die ganze Nacht ohne Barmherzigkeit.

Der folgende Tag war ein Sonntag. Eben hatte ich meinen Kopf auf den Tisch gelegt, um den Versuch zu machen, ob es mir möglich wäre, ein wenig zu schlafen, als der Geistliche von Niedereisenhausen, von welchem Dorfe Gönnern ein Filial ist, eintrat. Der würdige Mann kam, um den Gottesdienst abzuhalten. Bevor er jedoch in die Kirche ging, ließ er sich aus dem be-nachbarten Wirtshause für einige Kreuzer Lebenswasser holen, das er in einem Zuge zu sich nahm. Also gestärkt, bestieg nun der Herr Pfarrer die Kanzel und hielt einen ergreifenden Vor-trag über die Mäßigkeit in diesem und die Seligkeit in jenem Leben; ein halbes Jahr hierauf starb er. Als ich gegen S. mein Befremden wegen des Schnapstrinkens äußerte, sagte er: »Lie-ber Freund! Das verstehst Du nicht; wer unter den Wölfen ist, muß mit diesen heulen. Wenn man keinen Schnaps trinkt, gilt man für stolz, und es gehört gar nicht zu den auffallenden Erscheinungen, daß der Schullehrer und sogar der Geistliche mit den Bauern in der Schenke schnapset; Nie-mand findet hier etwas Unanständiges. Was sollen wir arme Teufel denn auch trinken!«

Wahr ist's, so lange die Landleute des Hinterlandes, des Vogelsberges und anderer rauhen Ge-genden die Speisen nicht gehörig zu bereiten verstehen, wird es schwer fallen, den Schnaps aus geselligen und häuslichen Kreisen zu verdrängen. Nach dem Genüsse schwerer Speisen, als: grobes Brot, gedörrtes Fleisch, Käse etc. glauben die Bewohner jener rauhen Gegenden ein Verdauungsmittel nehmen zu müssen, und als solches haben sie irriger Weise den Schnaps ge-wählt, den sie in großen Quantitäten zu sich nehmen, ohne daß er ihnen dem Anscheine nach schadet. Ich habe oft bemerkt, dass Handwerksleute bei trockenem Brot einige Gläschen Branntwein tranken, während sie nach einem ordentlichen Mittag- oder Abendessen einen Widerwillen gegen dieses Getränk hatten. Möchten doch diesen Umstand die Gründer von Mäßigkeitsvereinen wohl beherzigen!

Nach beendigtem Gottesdienste lud mich mein Bekannter zum Mittagessen ein, was ich jedoch, trotz allen Bittens, ausschlug, da ich da doch nicht zu essen im Stande gewesen wäre. Ich begab mich auf den Rückweg und langte des Nachmittags drei Uhr in Biedenkopf an, nachdem ich mehr als vier und zwanzig Stunden nichts gegessen und nicht geschlafen, und außerdem noch einen achtstündigen Kampf mit jenen kleinen, flinken Quälgeistern, Flöhe genannt, zu bestehen hatte. Noch nie hatte ich bei gesundem Leibe unangenehmere vier und zwanzig Stunden ver-lebt! »Herr Candidat!« - sagte mein Hauswirt zu mir, »in Zukunft schlagen Sie nie mehr den Rat eines vernünftigen Mannes in den Wind.« Ich will jedoch durch diese Schilderung Niemand die Lust benehmen, jene Gegend unseres hessischen Vaterlandes zu bereisen.